Die Richter haben am 30. März 2023 in zwei Urteilen festgestellt, dass die öffentliche Hand nicht als umsatzsteuerlicher Unternehmer handelt, wenn ihre Leistungen (dauerhaft) defizitär sind.

Die öffentliche Hand erwirtschaftet oftmals keine Gewinne, sondern übt Tätigkeiten aus, die zu finanziellen Defiziten führen. Dies liegt insbesondere daran, dass sie im Rahmen der sogenannten Daseinsfürsorge Leistungen am Markt anbieten muss, mit denen grundsätzlich – ohne Bezuschussung von dritter Seite – eine Kostendeckung oder gar ein Gewinn nicht möglich ist, da für diese Leistungen regelmäßig kein kostendeckendes Entgelt vereinnahmt werden kann. In solchen Konstellationen ist fraglich, ob die öffentliche Hand überhaupt wirtschaftlich handelt und unternehmerisch im Sinne des Umsatzsteuerrechts tätig wird.

Mit zwei kürzlich veröffentlichten Urteilen vom März 2023 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu dauerdefizitären Tätigkeiten juristischer Personen öffentlichen Rechts (jPöR) Stellung genommen.

In der Rechtssache C-612/21 ging es um eine polnische Gemeinde (Gemeinde O), die Photovoltaikanlagen an Grundstückseigentümer überlassen und dafür nur ein Entgelt von 25 Prozent der förderfähigen Kosten erhoben hat. Für die übrigen 75 Prozent der förderfähigen Kosten hatte die Kommune einen Zuschuss von dritter Seite erhalten, die restliche Summe (nicht förderfähige Kosten) hat die Gemeinde selbst aufgebracht. Die Gemeinde berief sich in diesem Fall darauf, nicht „Mehrwertsteuerpflichtige“ respektive Unternehmerin im Sinne des polnischen sowie des europäischen Mehrwertsteuerrechts zu sein.

In der Rechtssache C-616/21 ging es um folgenden Sachverhalt: Eine ebenfalls polnische Gemeinde (Gemeinde L) erbrachte über einen Dienstleister Leistungen der Asbestbeseitigung gegenüber Gemeindemitgliedern kostenlos, weil sie im Nachgang mit Zuschüssen eines Umweltfonds in Höhe von 40 bis 100 Prozent rechnete. Grundlage für die durchzuführende Asbestbeseitigung war eine gesetzliche Regelung in Polen. Die Gemeinde reklamierte hier ebenfalls die Feststellung, dass sie nicht als „Mehrwertsteuerpflichtige“ zu behandeln sei, da sie die Tätigkeiten im Rahmen der ihr obliegenden öffentlichen Gewalt erbringe. In beiden Fällen waren die Finanzbehörden der Ansicht, dass es sich um unternehmerische Leistungen handelt.

Entscheidungen des Gerichts

Eine Entgeltlichkeit im Sinne des Steuerrechts setzt grundsätzlich das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einer Lieferung beziehungsweise einer Leistung und einer Gegenleitung voraus. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Leistungsausführung und eine geringfügige Gebühr sprechen grundsätzlich nicht gegen die Entgeltlichkeit. Der Gerichtshof urteilte in beiden Fällen, dass ein Leistungsaustausch gegeben ist, da die Höhe des vereinnahmten Entgeltes bei dieser Beurteilung nicht relevant sei und die Gegenleistung auch von einem Dritten (auch in Form von Zuschüssen) erbracht werden könne.

Trotz der Bejahung einer Entgeltlichkeit der jeweiligen Leistung stellte der EuGH in beiden Fällen jedoch fest, dass es an einer wirtschaftlichen und somit unternehmerischen Tätigkeit der Gemeinden fehle:

Die Gemeinde O., die die Photovoltaikanlagen an Einwohner überlassen hatte, habe die Leistungen weit unter Marktwert verkauft. Ein Fremdvergleich führe zu dem Ergebnis, dass ein privater Dritter so nicht gehandelt hätte.

Auch die Gemeinde L. habe nicht beabsichtigt, durch ihre Preise die Kosten zu decken und eine Gewinnspanne zu erzielen. Vielmehr bestand die Hoffnung, über spätere Zuschüsse die strukturell defizitäre Lage ausgleichen zu können.

Der EuGH hatte bereits im Jahr 2016 (Rechtssache Borsele) geurteilt, dass eine unternehmerische/wirtschaftliche Tätigkeit einer Kommune nicht vorliege, wenn sie bei der Schülerbeförderung durch die von ihr vereinnahmten Gelder nur einen kleinen Teil (im Urteilsfall 3 Prozent) ihrer Kosten deckt, nicht jeder der Nutzer diese Beiträge schuldet und somit ein erheblicher Differenzbetrag aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Hier sei das vereinnahmte Beförderungsentgelt eher einer Gebühr vergleichbar, was – ebenso wie das Fehlen eines Angebots am allgemeinen Markt – das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausschließe. Die vorliegende Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung erhaltenen Beträgen deute darauf hin, dass kein Leistungsentgelt und damit auch keine wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde vorliegt. Derartigen Gestaltungen fehle es an der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr üblichen Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung.

Praxishinweis

Fraglich ist, ob defizitäres Handeln der öffentlichen Hand wegen der Marktunüblichkeit immer dazu führt, dass der jeweiligen Einrichtung die Unternehmereigenschaft zu versagen ist.

Die Ablehnung der Unternehmereigenschaft hätte grundsätzlich den Vorteil, dass die Leistungen durch die jeweilige Einrichtung ohne gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer erbracht werden können. Nachteilig ist hier jedoch der fehlende Vorsteuerabzug.

Hier sollte die weitere nationale Rechtsprechung sowie die Verlautbarungen der Finanzverwaltung beobachtet werden.