Eine vom Besteller ausgesprochene Kündigung eines Bauvertrages aus wichtigem Grund nach VOB/B § 8 Abs. 2 ist insolvenzrechtlich wirksam und zulässig. Die Herstellung der Aufrechnungslage (Forderung des Schuldners auf Werklohn und Gegenforderung auf Schadensersatz) ist aber gläubigerbenachteiligend. Sie kann angefochten werden.
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Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt den insolvenzrechtlichen Vorrang des Gläubigerschutzes mit einem weiteren Urteil klar. In seinem Urteil vom 19. Oktober 2023 hat der BGH entschieden, dass die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Herstellung der Aufrechnungslage ergreift. Das Grundgeschäft (hier: die Kündigung) ist nicht erfasst. Die Wirksamkeit der Kündigung steht der Anfechtbarkeit der Herstellung der Aufrechnungslage nicht entgegen.

Hintergrund der Entscheidung - BGH zum Vorrang des Gläubigerschutzes

Der Auftragnehmer und der Auftraggeber schließen einen Bauvertrag (Vertrag 1) und einen zweiten weiteren Vertrag (Vertrag 2).

Der Auftragnehmer stellt in der Folgezeit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Als der Auftraggeber das erfährt, kündigt er den Vertrag 1 sowie den Vertrag 2 jeweils gemäß § 8 Abs. 2 VOB/B (Kündigung durch den Auftraggeber). Der Auftraggeber nimmt die bis zu den beiden Kündigungen erbrachten Leistungen jeweils ab. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Auftragnehmers wird danach eröffnet und es wird ein Insolvenzverwalter eingesetzt. Der Insolvenzverwalter verlangt vom Auftraggeber den offenen Restwerklohn aus dem Vertrag 2. Der Auftraggeber rechnet den offenen Restwerklohn mit Schadensersatzansprüchen aus Vertrag 1 gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 VOB/B auf.

Entscheidung des BGH zum insolvenzrechtlichen Vorrang des Gläubigerschutzes

Der Werklohn aus Vertrag 2 ist von dem Auftraggeber voll zu bezahlen. Die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen aus Vertrag 1 durch den Auftraggeber ist aus insolvenzrechtlichen Gründen unzulässig.

Nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Herstellung der Aufrechnungslage wird von der insolvenzrechtlichen Unwirksamkeit ergriffen. Das Grundgeschäft, also die Kündigung, wird hiervon nicht erfasst.

Bei Durchgriff der Aufrechnung würde die Restwerklohnforderung des Auftragnehmers der Insolvenzmasse nicht mehr (in voller Höhe) zur Verfügung stehen. Deshalb ist die Herstellung der Aufrechnungslage eine Gläubigerbenachteiligung. Sie erfüllt somit die erforderliche Voraussetzung einer Insolvenzanfechtung.

Auswirkung des BGH-Urteils in der baurechtlichen Praxis

Ein Auftraggeber kann einen Bauvertrag aus wichtigem Grund wegen Insolvenzantrag gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B zwar kündigen, jedoch kann er die daraus resultierenden Schadensersatzansprüche nicht zur Aufrechnung gegen Forderungen des insolventen Unternehmers bzw. dessen Insolvenzverwalter aus einem anderen Vertrag bringen. Sogar die Aufrechnung innerhalb des gleichen Vertrages scheint nach dieser neuen Rechtsprechung erschwert.

Die Möglichkeit des Auftraggebers, seine noch bestehenden (Schadensersatz)Forderungen durch Schaffung einer Aufrechnungslage gegen den insolvenzbedingten Untergang zu retten, ist weiter eingeschränkt worden. Die Kündigung aus § 8 Abs. 2 VOB/B ist aufgrund der insolvenzrechtlichen Einschränkung der Rechtsfolgen zu Lasten des zur Kündigung Berechtigten ein stumpfes Schwert geworden.

Besteller müssen sich dieser neuen Rechtslage bewusst sein und sich vorab über die Möglichkeiten der Sicherheiten (wie Bürgschaften oder Einbehalte) gegen die Insolvenz seines Vertragspartners schützen. Die eigentlich explizit für den Fall der Insolvenz in der VOB/B geregelte Kündigung ist nicht (mehr) der sicherste Weg.

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