Aufgrund des fortschreitenden digitalen Wandels und dem Trend zu Online-Veranstaltungen hat das BMF (Bundesministerium der Finanzen) zur umsatzsteuerlichen Beurteilung derartiger Leistungen Stellung bezogen.
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Der Beitrag wurde verfasst von unseren Expertinnen und Experten Benjamin Bergau, Julian Hornstadt und Katharina Lehner.

Konkret geht es um die umsatzsteuerliche Einordnung von Umsätzen aus Online-Veranstaltungsdienstleistungen und weiteren Online-Dienstleistungsangeboten. Die Finanzverwaltung sieht dabei in Leistungskombinationen eine einheitliche, dem Regelsteuersatz zu unterwerfende Leistung. Das kann für bestimmte Anbieter, die bislang Leistungen steuerfrei anbieten, ein nicht zu unterschätzendes Problem darstellen.

Das neue BMF-Schreiben unterteilt Online-Dienstleistungen in die nachfolgenden Kategorien:

1) Vorproduzierte Inhalte 

2) Live-Streaming

3) Dienstleistungskommissionen

4) Leistungskombinationen

Hier soll zukünftig gelten:

1) Vorproduzierte Inhalte

Bei sogenannten vorproduzierten Inhalten stellt ein Veranstalter eine Aufzeichnung von der Veranstaltung in digitaler Form (über Internet oder ähnliches elektronisches Netz) bereit. Diese kann durch den Empfänger individuell zu einem späteren (festen oder frei wählbaren) Zeitpunkt abgerufen werden. Dabei handelt es sich um eine auf elektronischem Weg erbrachte sonstige Leistung im Sinne des § 3a Absatz 5 Satz 2 Nummer 3 UStG. Werden solche Leistungen an Privatpersonen erbracht, richtet sich der Ort der Leistung nach dem Wohnsitz des Leistungsempfängers. Die richtige Erfassung der Kundendaten ist daher von großer Bedeutung.

Für diese Leistung können nach Ansicht der Finanzverwaltung keine Steuerbefreiungen für durch begünstigte Einrichtungen erbrachte Unterrichtsleistungen nach § 4 Nr. 20, Nr. 21 oder Nr. 22 UStG genutzt werden. Im neu gefassten Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) heißt es hierzu:

„Die Unterrichtsleistungen können auch parallel zu bzw. anstelle der „Vor-Ort“-Veranstaltung als interaktiver Live-Stream in Echtzeit angeboten werden. Dagegen sind bloße Streaming-Angebote eines aufgezeichneten Unterrichts oder Onlineübungen und Onlineklausuren mit automatisiert generierter Rückmeldung, wie sie zum Beispiel mit Lern-Apps oder auf Lernplattformen bereitgestellt werden, von der Steuerbefreiung ausgeschlossen.“

Auch eine Ermäßigung des Steuersatzes nach § 12 (2) Nr. 14 UStG scheidet aus. 

Abrufbare Videos sollen also voll umsatzsteuerpflichtig sein, sofern der Leistungsempfänger im Inland wohnt. Bei einem Wohnsitz des Nutzers in anderen EU-Mitgliedstaaten wären dortige Erklärungspflichten und die mögliche Nutzung des One-Stop-Shop (OSS-Verfahren) zu prüfen.

2) Live-Streaming

Bei Live-Streaming-Angeboten, die parallel oder anstelle der Vor-Ort-Veranstaltung bereitgestellt werden, handelt es sich nach Ansicht der Finanzverwaltung nicht um auf elektronischem Wege erbrachte Leistungen. Es liegt dagegen eine sonstige Leistung mit unterrichtendem oder unterhaltendem Charakter vor. Wird diese Leistung an Privatpersonen erbracht, gilt als Leistungsort durch eine Neuregelung ab dem 1.1.2025 der Ort, an dem der Leistungsempfänger seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort oder seinen Sitz hat (vgl. § 3a Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe a UStG) hat. Bis zu dieser Neuregelung der Ortsvorschrift bleibt noch der Sitzort des leistenden Unternehmers relevant.

Durch das BMF-Schreiben wird leider nicht abschließend geklärt, ob auch die immer populärer werdenden Heilbehandlungsleistungen per Live-Stream (z.B. Sprechstunde mit dem Hausarzt) unter die Neuregelung des § 3a Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe a UStG (Wohnsitz des Leistungsempfängers) fallen sollen oder vielmehr weiter unter die Ortsbestimmung des § 3a Absatz 1 UStG (Sitzort des Leistenden). 

Im Gegensatz zu vorproduzierten Inhalten können beim Live-Streaming die Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 14 (z.B. Heilbehandlungsleistungen), Nr. 20, Nr. 21 und Nr. 22 UStG (z.B. für unterrichtende Tätigkeiten) einschlägig sein. Auch die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 (2) Nr. 7 a UStG käme in Betracht, sofern die genannten Steuerbefreiungen nicht anwendbar sind.

3) Dienstleistungskommission

Eine Dienstleistungskommission liegt vor, wenn ein anderer Unternehmer als der Veranstalter in die Erbringung der sonstigen Leistung (Bereitstellung von Live-Streaming-Angeboten oder Aufzeichnungen) eingeschaltet wird und dieser im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung handelt (§ 3 Absatz 11 UStG). Gleiches gilt, wenn ein Unternehmer in die Erbringung der sonstigen Leistung  eingeschaltet wird, die über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal erbracht wird (§ 3 Absatz 11a UStG).

Erfolgt ein Live-Streaming-Angebot im Rahmen einer Dienstleistungskommission (zum Beispiel über eine Streaming-Plattform), sind die leistungsbezogenen Merkmale der Steuerbefreiung oder -ermäßigung auf die an den Auftragnehmer erbrachte und die von ihm ausgeführte Leistung anzuwenden (Abschnitt 3.15 Absatz 2 Satz 1 UStAE).

Betreiber von Streaming-Plattformen müssen deshalb prüfen, ob die im BMF-Schreiben zusammengefassten Verwaltungsregelungen zur Dienstleistungskommission für ihr Geschäftsmodell gelten und Handlungsbedarf besteht.

4) Leistungskombinationen

Bei den sogenannten Leistungskombinationen werden die Bereitstellung eines Live-Streams (mit und ohne Interaktionsmöglichkeit) und einer Aufzeichnung, die zu einem späteren, vom Nutzer gewählten Zeitpunkt abgerufen werden kann, miteinander kombiniert. 

Das BMF weist darauf hin, dass die allgemeinen Regelungen zur Einheitlichkeit der Leistung anzuwenden seien. Dabei kommt es zu dem Schluss, dass es sich bei diesen Fällen um eine Leistung eigener Art handele, die insgesamt dem allgemeinen Steuersatz unterliege. Eine Aufteilung des Entgelts käme nicht in Betracht. 

Das BMF-Schreiben begründet allerdings nicht nachvollziehbar, welcher Leistungsbestandteil der einheitlichen Leistung eigener Art ihr Gepräge verleiht (vgl. Abschnitt 4.12.5. (2) S. 1 UStAE) und deshalb für die Besteuerung relevant ist.

Aus Sicht der Verbraucher könnte es wenigstens diskutabel sein, ob die Leistung nicht primär aus dem Grund bezogen wird, in Echtzeit an einer Veranstaltung teilzunehmen und dort mit anderen Personen zu interagieren. Die zusätzliche Möglichkeit, eine Aufzeichnung abzurufen, mag in diesem Fall von untergeordneter Bedeutung sein. Die Wichtigkeit dieser Unterscheidung wird bei Unterrichtsleistungen deutlich, wo etwaige fachliche Fragen direkt an den Dozenten gestellt werden können. So entsteht ein für den Teilnehmer nicht zu unterschätzender Vorteil. Gemäß dem BMF-Schreiben würde dieser Leistungsbestandteil hinter den Abruf der Aufzeichnung zurücktreten. Eine Steuerbefreiung für die Unterrichtsleistung (z.B. gemäß § 4 Nr. 21 UStG) bleibt dann vollständig versagt.

Sollte dagegen erst gegen Zahlung eines gesonderten Entgelts oder eines Aufpreises eine Aufzeichnung abrufbar sein, liegen laut Verwaltungsmeinung zwei selbstständige Leistungen vor. Sie sind unterschiedlich zu beurteilen. Hier stellt das BMF in Rz. 12 b) des Schreibens fest:

„Denn aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers ist die Bereitstellung des Live-Streams weder untrennbar mit der Aufzeichnung verbunden, noch stellt sie ein Mittel dar, um diese unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. Vielmehr behalten beide Leistungen für den Leistungsempfänger – auch bei Entrichtung eines einheitlichen Gesamtentgelts – jeweils ihren eigenständigen Charakter und treten nicht hinter einer komplexen Gesamtleistung zurück.“

Eine Aufteilung des Entgelts wird bisher in der Regel nicht stattgefunden haben. Außerdem ist hier anzumerken, dass wohl ein Großteil der Kosten (also der Eingangsleistungen wie z.B. Honorare) eher auf die unterrichtende Tätigkeit entfällt, als auf das Hosting der Server, auf denen die Aufzeichnungen im Anschluss bezogen werden können.

Praxishinweis und Ausblick für Anbieter von Online-Dienstleistungen

Das Schreiben ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Es wurde jedoch eine Schonfrist bis zum 30.06.2024 eingeräumt. Die Finanzverwaltung ist an diese Rechtsauffassungen gebunden und wird es für die Leistungskombinationen zunächst so anwenden. Eine mögliche Abweichung müsste ab dem 01.07.2024 offengelegt und gegebenenfalls in einem Klageverfahren durchgefochten werden.

Dienstleister, die bisher ihre Leistungspakete unter Anwendung der einschlägigen Steuerbefreiung an den Kunden berechnet haben, können nun gezwungen sein, ihre Leistungen mit Umsatzsteuer abrechnen zu müssen. Als Beispiel seien hier Weiterbildungseinrichtungen genannt, die ihre Kurse sowohl in Online- als auch in Präsenzform den Teilnehmern anbieten und bei den Onlineveranstaltungen als „Bonus“ eine Aufzeichnung zur Verfügung stellen.

Aufgrund der kurzfristigen Übergangsregelungen wird insbesondere für bereits vor dem 30.06.2024 gebuchte Kurse ein akutes Problem mit Handlungsbedarf geschaffen, wenn der Kurs erst nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen wird. In solchen Fällen wäre eine bisher angewendete Steuerbefreiung bereits nicht mehr anwendbar, doch die Kurse sind bereits gebucht und bezahlt. Ob die Veranstalter die Umsatzsteuer von den Teilnehmern nachverlangen können, wird sich anhand der geschlossenen Verträge entscheiden. Neue Verträge sollten im Hinblick auf die Engeltaufteilung zukünftig umgestellt werden. Ein Preisaufschlag von 19 Prozent Umsatzsteuer könnte das Geschäftsmodell mancher Angebote durch eine reduzierte Nachfrage unter Druck setzen.