Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 7. September 2023 in der Rechtssache „Schütte“ (Aktenzeichen C-453/22) entschieden. Im Fall ging es um eine zivilrechtlich verjährte Rückforderung falsch durch einen Lieferanten in Rechnung gestellter Umsatzsteuer und den Direktanspruch des Leistungsempfängers auf die Erstattung der Umsatzsteuer durch das Finanzamt.
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Direkterstattung bei falschem Steuerausweis: bisherige Entwicklungen

Grundsätzlich darf ein Steuerpflichtiger eine überhöht ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer geltend machen. Das gilt, wenn ihm durch den leistenden Unternehmer ein zu hoher Umsatzsteuerbetrag in Rechnung gestellt wurde. Dabei ist es unerheblich, ob die Umsatzsteuer tatsächlich an den leistenden Unternehmer gezahlt und von diesem an das Finanzamt abgeführt wurde. Das greift besonders in Fällen, in denen ein Umsatz tatsächlich nicht steuerbar oder steuerfrei ist oder dem ermäßigten Steuersatz unterliegt, aber mit dem Regelsteuersatz abgerechnet wurde.

Aus dem zivilrechtlichen Schuldverhältnis ergibt sich für den leistenden Unternehmer die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Rechnungsstellung. Das umfasst auch einen zutreffenden Umsatzsteuerausweis. Grundsätzlich haben Leistungsempfänger einen Anspruch aus dem zugrundeliegenden Schuldverhältnis gegenüber dem leistenden Unternehmer auf Berichtigung eines überhöhten Umsatzsteuerausweises. Wenig problematisch ist dies, wenn der überhöhte Steuerausweis direkt bemerkt wird. Für Fälle, in denen der leistende Unternehmer bei Bemerken des überhöhten Umsatzsteuerausweises nicht mehr existiert oder insolvent gegangen ist, hatte sich der EuGH bereits in seiner „Reemtsma“-Rechtsprechung geäußert. Das Gericht hat hier den Direktanspruch eines Steuerpflichtigen gegenüber dem Finanzamt des insolvent gegangenen leistenden Unternehmers bestätigt.

In einem BMF-Schreiben hat die Finanzverwaltung diese Rechtsprechungsgrundsätze zwar akzeptiert, doch sehr hohe Hürden an die Anspruchsberechtigung gestellt. Unter anderem sollen Leistungsempfänger alle zivilrechtlich möglichen Maßnahmen gegenüber dem leistenden Unternehmer auf Rückzahlung ergriffen haben müssen, bevor die Finanzverwaltung die überhöht gezahlte Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger auszahlt.

Neue Entscheidung des EuGH zur Direkterstattung bei falschem Steuerausweis

Auf Grundlage einer Vorlagefrage des Finanzgerichts Münster hat der EuGH seine Rechtsprechung bezüglich dieses Direktanspruchs konkretisiert. In dem zur Entscheidung vorgelegten Fall weigerte sich der leistende Unternehmer, die Rechnungen mit einem überhöhten Umsatzsteuerausweis zu korrigieren und die bereits gezahlte überhöhte Umsatzsteuer zurückzuzahlen. Zuvor war dem Leistungsempfänger im Rahmen einer Betriebsprüfung der Vorsteuerabzug versagt worden. Eine Erstattung des Differenzbetrags durch das Finanzamt an den leistenden Unternehmer wäre hier nach Rechnungskorrektur ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Der leistende Unternehmer allerdings machte hinsichtlich seiner schuldrechtlichen Pflicht zur ordnungsgemäßen Rechnungsstellung (zutreffend) die Einrede geltend, dass das zugrunde liegende Umsatzgeschäft bereits mehr als drei Jahre in der Vergangenheit lag. Zivilrechtlich sei der Anspruch auf die Rechnungskorrektur damit verjährt.

Nach Auffassung des deutschen Finanzamts führt diese Verjährung dazu, dass der leistende Unternehmer einen möglichen Erstattungsbetrag nicht an den Leistungsempfänger auskehren müsste. Ein Direktanspruch des Leistungsempfängers beim Finanzamt sei deshalb ebenfalls ausgeschlossen. Dies lehnt der EuGH jedoch unter Verweis auf die umsatzsteuerliche Neutralität ab. Nach Auffassung des EuGH darf es dem Steuerpflichtigen nicht übermäßig erschwert werden, von einer unrechtmäßig getragenen Belastung mit Umsatzsteuer entlastet zu werden. Ein Antrag auf eine zweite Erstattung derselben Umsatzsteuerüberzahlung durch den leistenden Unternehmer, der eine Auszahlung der überhöhten Umsatzsteuer an seinen Leistungsempfänger zuvor abgelehnt hat, sei gesetzwidrig. Also bestünde faktische die Gefahr einer doppelten Erstattung nicht.

Prüfung der Finanzverwaltung ist nötig

Somit ist es Aufgabe der Finanzverwaltung zu überprüfen, ob ein geltend gemachter Erstattungsanspruch zuvor bereits im Wege eines Direktanspruches an den Leistungsempfänger ausgezahlt wurde. Folglich wird den finalen Leistungsempfängern nicht das Risiko auferlegt, eine überhöht an den leistenden Unternehmer gezahlte Umsatzsteuer tragen zu müssen. Auch die Gefahr, den Vorsteuerabzug aus Rechnungen ohne Korrekturmöglichkeit zu verlieren, obwohl dem Fiskus tatsächlich gar kein Schaden entstanden ist, besteht somit nicht.