Italien war das erste Land in der EU, das die E-Rechnung bereits im Januar 2019 verpflichtend für alle B2B- und B2C-Transaktionen eingeführt hat. Im Rahmen unserer Artikelserie „E-Rechnung in der EU“ verdeutlichen wir die wachsende Bedeutung der elektronischen Rechnungsstellung am Beispiel der erfolgreichen Umsetzung in Italien. Damit bieten wir Unternehmen, auf die diese Veränderung zukommt, wertvolle Einblicke.
INHALTE

Massive Veränderung der umsatzsteuerlichen Compliance-Lücke in Italien 

Der Plan der Europäischen Kommission zur Modernisierung des Umsatzsteuersystems durch die ViDA-Initiative zielt in erster Linie auf die Bekämpfung der Steuerhinterziehung ab. Bei der Ermittlung der Höhe der Steuerausfälle wird die Differenz zwischen den Steuereinnahmen, die bei vollständiger Einhaltung der Vorschriften erzielt würden, und den tatsächlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer berechnet. Diese Mehrwertsteuerlücke hat sich in Italien im Jahr 2021 im Vergleich zu 2020 um 10,7 Prozent (ca. 12,7 Milliarden Euro) verringert, wie aus dem VAT Gap Report 2023 der Europäischen Kommission hervorgeht. Dies ist sowohl in relativen als auch in absoluten Zahlen der höchste Rückgang unter den 27 EU-Mitgliedstaaten und macht insgesamt 32 Prozent der Verringerung in der EU aus. Auch unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen Veränderungen und einer möglichen Ungenauigkeit der Daten sind diese Zahlen ein starkes Indiz dafür, dass der Großteil des Rückgangs durch eine bessere Compliance erklärt werden kann. Wir können daher mit hinreichender Genauigkeit sagen, dass sich die Einführung der elektronischen Rechnungsstellung in Italien als sehr wirksam bei der Betrugsbekämpfung erwiesen hat.

Italiens Konzept zur Umsetzung 

Ursprünglich galt die Richtlinie zur elektronischen Rechnungsstellung für italienische Steuerpflichtige mit einem Jahresumsatz von mehr als 65.000 Euro. Im Laufe der Zeit wurden die gesetzlichen Anforderungen schrittweise erweitert; seit Januar 2024 ist die elektronische Rechnungsstellung nun für alle Unternehmen verpflichtend – unabhängig vom Umsatz. Die italienische Regierung hat bei der Einführung der elektronischen Rechnungsstellung einen zweistufigen Ansatz gewählt, bei dem sowohl das Format als auch der Prozess der Übermittlung von elektronischen Rechnungen festgelegt wurde. Sämtliche E-Rechnungen müssen im Format „FatturaPA“ erstellt und über das italienische Austauschsystem Sistema di Interscambio (SdI) übermittelt werden. Dieses System, ein eDelivery-Service des italienischen Staates, überprüft die
E-Rechnungen vor der Weiterleitung an die zuständige Behörde anhand einer Empfänger-ID (Unique Office Code). E-Rechnungen können auf verschiedene Weise gestellt werden, zum Beispiel über Certified Electronic Mail (CEM), die Website des italienischen Finanzamts (Authentifizierung erforderlich), SDIFTP (File Transfer Protocol (Technical specifications)) und den Webdienst SDICoop.

Überwindung technisch bedingter Hürden und neue Sichtweisen

Die Umstellung auf die elektronische Rechnungsstellung, insbesondere der vorgeschriebene zweistufige Ansatz, stellte italienische Unternehmen vor eine Reihe komplexer Hürden. Im Kern ging es um die Notwendigkeit einer umfassenden technischen Anpassung und damit einhergehend um die Notwendigkeit, eingefahrene Gleise zu verlassen und Sichtweisen zu ändern.

Die Integration bestehender ERP- und Buchhaltungssysteme in die neue Plattform für die elektronische Rechnungsstellung erforderte umfangreiches technisches Fachwissen und Investitionen in neue IT-Infrastruktur und Software. Abgesehen von der IT-Infrastruktur hatten Unternehmen mit der Einhaltung der strengen Anforderungen an das XML-Format und den
SdI-Vorschriften sowie mit der Gewährleistung der Genauigkeit, Vollständigkeit und Sicherheit von Daten zu kämpfen, um Compliance-Probleme zu vermeiden. Das Risiko der „Non-Compliance“ war hoch, dabei drohten Unternehmen strenge Strafen, die die regulatorischen Anforderungen nicht erfüllen konnten. Die größte Herausforderung war jedoch der menschliche Faktor und insbesondere der erforderliche kulturelle Wandel, da Beschäftigte in den Betrieben oft dazu neigen, aus Routine heraus an Prozessen festzuhalten, die seit Jahren unverändert funktionieren.

Grant Thornton Italien spielte eine entscheidende Rolle bei der erfolgreichen Begleitung zahlreicher Mandanten durch den komplexen Übergang zur elektronischen Rechnungsstellung, indem tiefgehende Kenntnisse der italienischen Steuer- und Rechnungslegungsvorschriften und -prozesse, Technologien und Geschäftsabläufe miteinander vereint wurden. Klar ist: Die elektronische Rechnungsstellung ist nicht nur eine rein steuerliche Angelegenheit, sondern erfordert einen ganzheitlichen Ansatz.

Technische Integration: Ein neuer Markt für Anbieter von E-Rechnungen

Da sich die Umsetzung der Anforderungen an die elektronische Rechnungsstellung in bestehende Buchhaltungs- und ERP-Systeme als sehr kostspielig erwies, insbesondere für kleinere lokale Unternehmen und Tochtergesellschaften internationaler Unternehmen, eröffnete sich eine neue Marktchance für Anbieter von Lösungen zur elektronischen Rechnungsstellung. Grant Thornton Italien hat beispielsweise eine spezielle Cloud-Plattform für das End-to-End-Management der elektronischen Rechnungsstellung entwickelt. Sie entspricht vollständig den italienischen Vorschriften für die elektronische Rechnungsstellung und ist in das Sistema di Interscambio integriert. Diese Plattformen tauschen Daten direkt mit Buchhaltungs- und ERP-Systemen aus (zum Beispiel über API-Integration für den Echtzeit-Datenaustausch oder dateibasiert für den Import und Export von Daten) und ermöglichen es Unternehmen damit, unabhängig von ihrem Buchhaltungssystem am E-Invoicing teilzunehmen.

Effizienzsteigerungen durch Modernisierung und Automatisierung

Insgesamt hat die Umstellung auf die elektronische Rechnungsstellung italienischen Unternehmen eine Reihe wirtschaftlicher und operationeller Vorteile gebracht. Die notwendige Umstellung interner Prozesse auf elektronische Rechnungsstellung und die damit verbundenen Änderungen an der IT-Infrastruktur führten zu erheblichen betrieblichen Veränderungen, aus denen sich enorme Möglichkeiten zur Modernisierung und Automatisierung ergaben. Automatisierung steigert nicht nur die Effizienz von Prozessen, sondern reduziert auch den manuellen Aufwand drastisch und minimiert so das Risiko menschlicher Fehler. Die elektronische Rechnungsstellung erhöht durch die Einhaltung des vorgeschriebenen elektronischen Formats die Compliance mit steuerlichen Vorschriften. Die digitale Form von Rechnungen bietet außerdem eine umfangreiche Datenquelle, mit der Unternehmen detaillierte Analysen durchführen und datengestützte Entscheidungen treffen können. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist verbessertes Cashflow-Management. Schnellere Rechnungsbearbeitung und anschließende Zahlungseingänge tragen zu einer stabileren Finanzlage bei.

„Auch wenn die Umstellung auf die elektronische Rechnungsstellung zunächst Investitionen in die IT-Infrastruktur und in Personal erforderte, konnten sowohl unsere Mandanten als auch unser Unternehmen langfristig erhebliche Kosteneinsparungen erzielen“, erklärt Gabriele Labombarda, Partner und IBC-Direktor der italienischen Mitgliedsfirma Bernoni Grant Thornton. „Die durch die Automatisierung erzielten Effizienzsteigerungen haben sich positiv auf die Betriebskosten aller Beteiligten ausgewirkt. Darüber hinaus haben sich unsere Beziehungen zu den Mandanten erheblich vertieft, indem wir sie durch diesen komplexen Übergang begleitet haben. Von diesem kooperativen Ansatz haben nicht nur unsere Mandanten durch mehr Effizienz und Kosteneinsparungen in den Unternehmen profitiert, sondern er führte auch zur Optimierung unserer internen Abläufe.“

Durch den Austausch von Best Practices und Fachwissen innerhalb des Grant Thornton-Netzwerks können unsere Mitgliedsfirmen Unternehmen dabei unterstützen, komplexe Vorschriften grenzüberschreitend zu befolgen und durch gemeinsame Anstrengungen effektive Lösungen zur Erreichung finanzieller Ziele umzusetzen.

Bleiben Sie gespannt – in unserem nächsten Artikel gehen wir auf den Ansatz Polens bei der Einführung der E-Rechnung ein.