Der Europäische Gerichtshof (EuGH) durchkreuzt im Koalitionsvertrag geregelte Pläne der Ampelregierung zur Stärkung der deutschen Unternehmensmitbestimmung. Damit bleibt die Europäische Gesellschaft (SE) weiterhin besonders für den Mittelstand attraktiv.
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In dem durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) dem EuGH vorgelegten Fall, geht es um eine im Jahr 2013 gegründete und in das Register für England und Wales eingetragene Holding SE. Gründungsgesellschaften waren eine deutsche GmbH und eine britische Limited. Sie selbst hatten jeweils keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt und auch keine Tochtergesellschaften, bei denen Arbeitnehmende beschäftigt waren. Deshalb fanden vor dieser Eintragung keine Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung statt. Am Tag nach der Gründung wurde die Holding SE alleinige Gesellschafterin einer deutschen GmbH. Diese unterfiel aufgrund ihrer Arbeitnehmerzahl dem Drittelbeteiligungsgesetz. Der Aufsichtsrat der GmbH bestand zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern. Nach der Umwandlung in eine KG entfiel die Mitbestimmung. Im Jahr 2017 verlegte die Holding SE ihren Sitz nach Hamburg. Nach Auffassung des Konzernbetriebsrats hätte die Holding SE nachträglich ein besonderes Verhandlungsgremium bilden müssen. So sollte das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren nachgeholt werden. Begründung: die Tochtergesellschaften hätten Arbeitnehmende in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt. Das Arbeitsgericht wie Landesarbeitsgericht lehnten den Antrag ab. Das BAG legte die Angelegenheit dem EuGH vor.

Arbeitnehmerbeteiligung und SE

Der EuGH beantwortet die vom BAG vorgelegte (Haupt-)Frage überzeugend. Er formulierte,  dass, wenn eine Holding-SE ohne vorherige Durchführung von Verhandlungen zur Beteiligung der Arbeitnehmer eingetragen wird, weil die an der Gründung beteiligten Gesellschaften keine Arbeitnehmenden beschäftigen und nicht über Arbeitnehmende beschäftigende Tochtergesellschaften verfügen, das Unionsrecht keine spätere Aufnahme solcher Verhandlungen vorschreibt, wenn diese SE nach ihrer Gründung herrschendes Unternehmen von Arbeitnehmern beschäftigenden Tochtergesellschaft in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten geworden ist. Nach Ansicht des EuGH zeige der Wortlaut der hier maßgeblichen unionsrechtlichen Vorschriften, dass die Einsetzung des besonderen Verhandlungsgremiums und die Durchführung der Verhandlungen bei der Gründung der SE und vor deren Eintragung erfolgen sollten. Auf eine bereits gegründete SE sind diese Vorschriften nicht anwendbar.

SE in der Praxis

Die relevanteste Auswirkung für die Praxis dürfte sein, dass ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren bei einer bereits gegründeten Vorrats-SE mit Ausnahme von Missbrauchsgestaltungen nicht nachzuholen ist.  Das gilt für den Fall, wenn die Vorrats-SE durch Beteiligungserwerb wirtschaftlich aktiviert wird. Zwar bezieht sich das Urteil auf die Gründung einer Holding-SE, die Urteilsgründe sind aber auch auf die Gründung einer Vorrats-SE übertragbar.  Grundlage ist, dass die an der Gründung beteiligten Gesellschaften weder selbst Arbeitnehmende beschäftigen noch über Arbeitnehmende beschäftigende Tochtergesellschaften verfügen. Damit ist die Rechtsform der SE in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht nach wie vor rechtssicher. Den Plänen der Ampelregierung zur Stärkung der deutschen Unternehmensmitbestimmung wurde damit in einem wichtigen Punkt eine Absage erteilt.