Wenn Arbeitgeber schwerbehinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kündigen, ohne vorher ein Präventionsverfahren durchzuführen, wird eine Diskriminierung wegen der Behinderung vermutet. Das soll nach dem Arbeitsgericht Köln auch dann gelten, wenn die Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen wird.
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Im Urteil vom 20. Dezember 2023 (Aktenzeichen 18 Ca 3954/23) hat das Arbeitsgericht Köln entschieden, dass eine „Probezeitkündigung“ während der sechsmonatigen Wartezeit diskriminierend und damit unwirksam war. Grund: die Arbeitgeberin hatte zuvor nicht die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamt im Wege eines sog.  Präventionsverfahrens involviert. Damit hat es entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entschieden.

Kündigung verstößt gegen Diskriminierungsverbot

Nachdem ein Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung von 80 nach einer Verletzung arbeitsunfähig wurde, hörte die Arbeitgeberin den Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung sowie die Gleichstellungsbeauftragte zur beabsichtigten „Kündigung in der Probezeit“ an. Die Arbeitgeberin fügte einen Vermerk des Fachamts zum Verlauf der Einarbeitung bei. Keine der Stellen trug Einwände gegen die Kündigung vor. Nach Ausspruch der Kündigung gab das Arbeitsgericht Köln der hieraufhin erhobenen Klage statt. Die Kündigung verstoße gegen ein gesetzliches Diskriminierungsverbot und sei daher unwirksam.

Gericht rügt Mangel an Präventionsverfahren

Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Köln sei die Kündigung „wegen der Behinderung“ erfolgt. Die Diskriminierung müsse vermutet werden, da der Arbeitgeber gegen seine Pflicht nach § 167 Abs. 1 SGB IX verstoßen habe. Danach hätte ein Präventionsverfahren durchgeführt werden müssen. Entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Vorgängernorm bestehe diese Verpflichtung auch während der sechsmonatigen Wartezeit. Vor dem Abschluss der Probezeit besteht weder besonderer Kündigungsschutz aufgrund der Schwerbehinderung noch Schutz nach dem Kündigungsschutzgesetz.

Hoher Aufwand für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber

Das Kölner Gericht widerspricht der bisherigen Rechtsprechung des BAG. Dieses hat in seinem Urteil vom 21. April 2016 (Aktenzeichen 8 AZR 402/14) während der Wartezeit diese Verpflichtung verneint.

Die Entscheidung stellt Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vor erhebliche Schwierigkeiten. Die Durchführung eines Präventionsverfahrens vor Ausspruch einer Kündigung stellt während der Wartezeit einen möglicherweise unangemessenen hohen Aufwand dar. Es erscheint widersprüchlich, personen-, verhaltens-, und betriebsbedingte Störursachen erläutern zu müssen. Das allerdings entspricht der Systematik der Kündigungsschutzgründe. Das Kündigungsschutzrecht findet aber in der Probezeit noch keine Anwendung. Ebenso, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BAG das Nicht-Durchführen eines sogenannten betrieblichen Eingliederungsmanagements bei einer Kündigung während der Wartezeit keine Auswirkung auf deren Wirksamkeit hat. Eine Pflicht zur Durchführung eines Präventionsverfahrens während der Wartezeit hat das BAG zudem bisher ausdrücklich abgelehnt.

Auswirkungen für Kündigungen schwerbehinderter Menschen in der Unternehmenspraxis

Wie es das Kölner Gericht selbst formulierte, ist es eher unwahrscheinlich, dass ein ordnungsgemäß durchgeführtes Präventionsverfahren innerhalb der Wartefrist überhaupt abgeschlossen werden kann. Die im Verfahren gewonnenen Erkenntnisse können jedoch für die vor der Kündigung angestellten Erwägungen verwendet werden. Es spricht einiges dafür, dass man Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern das Durchführen eines Präventionsverfahrens abverlangen kann. Sofern es den Aufwand rechtfertigt, sollte sicherheitshalber künftig vor der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ein solches Verfahren zumindest formal in die Wege geleitet werden.

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können dem Risiko einer dauerhaften Bindung begegnen, indem sie, wo es zulässig ist, Arbeitsverhältnisse zur Erprobung befristen. Bei vorheriger Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft kann sich jedoch die Frage stellen, ob dadurch nicht wiederum eine Diskriminierung erfolgt. Diese Praxis sollte sich daher nicht auf Verträge mit schwerbehinderten Menschen beschränken.

Es ist fraglich, ob sich die Linie des Kölner Gerichts durchsetzt. Das BAG hat sich mit der Frage bereits umfassend in seinem Urteil vom 21. April 2016 auseinandergesetzt. Ob das BAG, falls es hierüber entscheiden muss, von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen würde, ist nicht sicher.