Mit Urteil vom 29.08.2024 (Aktenzeichen: V R 17/23) hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass keine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO (Insolvenzordnung) vorliegt, wenn ein Drittschuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren gemäß § 24 Abs. 1 i.V.m. § 82 der InsO schuldbefreiend auf ein Konto des späteren Insolvenzschuldners zahlt, da dieser das Entgelt für die von ihm umsatzsteuerpflichtig erbrachte Leistung abschließend vereinnahmt.
INHALTE

Sachverhaltsdarstellung

Mitte Juni 2016 bestellte das Insolvenzgericht den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen des Schuldners A, einem selbstständigen Gewerbetreibenden. Der Kläger erhielt umfassende Befugnisse, darunter den Zustimmungsvorbehalt für alle Verfügungen des Schuldners und die Erlaubnis, Forderungen des Schuldners auf ein Treuhandkonto einzuziehen. Zudem sollte er das Unternehmen des Schuldners bis zur Entscheidung über das Insolvenzverfahren fortführen, um Vermögensverluste zu vermeiden.

Der Schuldner hatte ein Girokonto bei der B-Bank, auf dem am 22. Juni 2016 eine Zahlung von 446,25 € und am 28. Juni 2016 mehrere Zahlungen (357,00 €, 4.373,25 € und 238,00 €) eingingen, die von der C-GmbH als Drittschuldnerin veranlasst wurden. Diese Zahlungen betrafen Rechnungen, die der Insolvenzschuldner für erbrachte Leistungen gestellt hatte. Am 28. Juni hob der Insolvenzschuldner 1.000 € in bar ab und überwies Lohn an einen Mitarbeiter.

Am selben Tag (28. Juni 2016) informierte der Kläger per Telefax die B-Bank und die C-GmbH über seine Bestellung als Insolvenzverwalter und wies darauf hin, dass Zahlungen nur noch an ihn erfolgen dürften. Der Kläger gab auch eine Erlaubnis zur Entnahme von 1.900 € für die Unterhaltssicherung des Schuldners, allerdings ohne Kenntnis von der Barabhebung in Höhe von 1.000 €.

Anfang Juli 2016 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger zog das verbliebene Guthaben auf dem Bankkonto bis auf 900 € zur Insolvenzmasse ein, wobei dieser Betrag für die Unterhaltssicherung des Schuldners vorgesehen war. Im Jahr 2016 erließ das Finanzamt (FA) Umsatzsteuerbescheide, in denen bestimmte Gutschriften des Insolvenzschuldners als Masseverbindlichkeiten behandelt wurden. 

In den anschließenden Gerichtverfahren stritten die Parteien über die Wirkung der Zahlung der C-GmbH und die Entstehung einer Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 4 InsO.  

Entscheidung des BFH

Der BFH entschied, dass keine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO vorliegt, wenn ein Drittschuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren gemäß § 24 Abs. 1 i.V.m. § 82 InsO schuldbefreiend auf ein Konto des späteren Insolvenzschuldners zahlt, da dieser das Entgelt für die von ihm umsatzsteuerpflichtig erbrachte Leistung abschließend vereinnahmt.

Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Insolvenzschuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit (Rn. 19).  

Kommt es wie vorliegend zu keiner Vereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen des ihm durch das Insolvenzgericht eingeräumten Rechts zum Forderungseinzug, ist die Begründung einer Masseverbindlichkeit nur zu bejahen, wenn eine Vereinnahmung im Zusammenhang mit anderweitigen Rechtsbefugnissen des vorläufigen Insolvenzverwalters vorliegt. Hieran fehlt es, wenn die Zahlung nicht aufgrund einer Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters, sondern aufgrund anderer insolvenzrechtlicher Regelungen – ohne Zutun des vorläufigen Insolvenzverwalters – zu einem Erlöschen der dem Insolvenzschuldner zustehenden Forderung führt (Rn. 23). 

Eine solche insolvenzrechtliche Regelung stelle § 82 InsO dar, die dazu führt, dass der Drittschuldner von seiner Schuld befreit, wenn er nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Insolvenzschuldner geleistet hat, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, und er zu der Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte. Die Wirkung des § 82 InsO sei auch umsatzsteuerlich zu berücksichtigen. Der Leistungsempfänger (hier: Drittschuldner) wende den Zahlbetrag auf, um von seiner zivilrechtlichen Leistungspflicht freizuwerden. Der Leistende (hier: Insolvenzschuldner) erhalte die Zahlung für die von ihm erbrachte Leistung, da aufgrund der Tilgungswirkung der Zahlung eine nochmalige Zahlung des Drittschuldners in die (spätere) Insolvenzmasse für diese Leistung (auch vom – vorläufigen – Insolvenzverwalter) nicht verlangt werden kann (Rn. 25). 

Dementsprechend ist das Entgelt für die vom Insolvenzschuldner dem Drittschuldner gegenüber erbrachter Leistung umsatzsteuerrechtlich abschließend durch den Insolvenzschuldner vereinnahmt, weil eine Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters für eine bereits nach § 82 InsO wirksame Entgeltentrichtung keine Rechtswirkungen entfalten kann. 

Die Zahlung der C-GmbH hatte somit gegenüber dem Insolvenzschuldner bereits schuldbefreiende Wirkung § 82 InsO, sodass keine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 4 InsO vorliegen kann. 

Fazit

Der BFH hat mit diesem Urteil eine sehr praxisrelevante Frage beantwortet. In diesem Zusammenhang bleibt abzuwarten, wie der BFH in weiteren, noch anhängigen Verfahren mit den Aktenzeichen XI R 3/23 (Vorinstanz: FG Düsseldorf, Urt. v. 25.1.2023 – 5 K 1749/21) zum Erfordernis einer zweiten Berichtigung im Rahmen des § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG ohne vorherige erste Berichtigung und XI R 23/22 (Vorinstanz: FG Düsseldorf, Urteil vom 13.7.2022 – 4 K 1280/21 AO) zu Umsatzsteuerschulden nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten entscheidet. 

Aufgrund der in den letzten Jahren steigenden Anzahl von Unternehmensinsolvenzen gewinnt das Insolvenzsteuerrecht zunehmend an Bedeutung. Besonderer Fokus liegt dabei auf einer verbleibenden Umsatzsteuerzahllast, die für die Möglichkeit einer erfolgreichen Sanierung eines Unternehmens entscheidend sein kann. Eine von uns veröffentlichte zweiteilige Übersicht zu den praktischen umsatzsteuerlichen Herausforderungen in der Insolvenz finden sich in der Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling (BC) 2024, S. 270ff. und S. 319ff. 

 

Autoren: Katharina Lehner, Christoph Janetzko, Sophia Ansorg