Seit dem 1. April 2025 gelten die Regelungen des deutschen Justizstandort-Stärkungsgesetzes. Zum einen ermächtigt dieses die Landesregierungen dazu, bei Oberlandesgerichten angesiedelte sogenannte Commercial Courts einzurichten. Diese sind auf komplexe wirtschaftsrechtliche Verfahren ab einem Streitwert von 500.000 Euro spezialisiert. Zum anderen können die Bundesländer bei den Commercial Courts und in speziell eingerichteten Kammern der Landgerichte, sogenannte Commercial Chambers, wirtschaftsrechtliche Zivilprozesse in englischer Sprache zulassen. Außerdem stärkt das Gesetz mit dem neuen § 273a ZPO insgesamt den zivilprozessualen Geheimnisschutz.
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Gesetzgeber ermöglicht wirtschaftsrechtlich spezialisierte Spezialgerichte und zivilrechtliche Verfahren auf Englisch

Seit Anfang April sind die Landesregierungen ermächtigt, einen oder mehrere Senate bei einem Oberlandesgericht als sogenannte Commercial Courts einzurichten. Commercial Courts sind in erster Instanz zuständig für ausgesuchte Streitigkeiten mit einem Streitwert ab 500.000 Euro. Umfasst sind zum einen bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern (mit Ausnahme von Streitigkeiten des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts sowie über Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb). Zum anderen können den Commercial Courts entsprechende Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen daran (sogenannte Post-M&A-Streitigkeiten) sowie Streitigkeiten zwischen einer Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats derselben zugewiesen werden.

Commercial Courts: Zuständigkeiten und Verfahren im Überblick

Bundesländer können die Zuständigkeit von Commercial Courts auch auf Sachgebiete zu erstrecken, für die sonst gesetzlich ausschließliche Zuständigkeiten vorgesehen sind. Für einige Streitigkeiten hat der Gesetzgeber allerdings die Zuständigkeit von Commercial Courts ausgeschlossen, etwa für Streitigkeiten über die Wirksamkeit/Rechtmäßigkeit von Gesellschafter-Beschlüssen, Streitigkeiten in Familiensachen oder in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

Interessierte Parteien können die Zuständigkeit der Commercial Courts durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung begründen; auch ein rügeloses Einlassen ist möglich.

Englisch als neue Verfahrenssprache

Landesregierungen können nunmehr außerdem bestimmen, dass Verfahren, die Streitigkeiten in den oben genannten Sachgebieten betreffen, vollständig in englischer Sprache geführt werden – bei gegebenenfalls eingerichteten Commercial Courts oder in Zivilkammern von speziell dafür ausgewählten Landgerichten (sogenannte Commercial Chambers). Ist Englisch entsprechend als mögliche Verfahrenssprache vorgesehen und haben die Parteien dahingehend eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung getroffen, ist das Verfahren in englischer Sprache zu führen.

Neuerungen in der Zivilprozessordnung

Die Zivilprozessordnung enthält nunmehr auch Regelungen, die den Ablauf von englischsprachigen Verfahren (§§ 606 ff. ZPO) und den Ablauf von Verfahren vor den Commercial Courts und den Commercial Chambers (§§ 610 ff ZPO) konkretisieren. Festgelegt ist etwa, dass gegen Urteile eines Commercial Courts die Revision zum Bundesgerichtshof statthaft ist.

Frankfurt am Main und Berlin gehen mit gutem Beispiel voran

Hessen mit dem Justizstandort Frankfurt/Main und Berlin gehen mit der Errichtung von Commercial Courts und Commercial Chambers voran.

In Hessen vorgesehen ist die Errichtung eines Commercial Court am OLG Frankfurt/Main, der aus zwei Senaten bestehen soll. Außerdem ist die Errichtung mehrerer Commercial Chambers am Landgericht Frankfurt/Main geplant. Je nach Vereinbarung der Parteien sollen dort ab dem 1. Juli 2025 Verhandlungen auf Deutsch oder Englisch, aber auch gemischtsprachig geführt werden können.

Berlin hat schon zum 1. April 2025 einen Commercial Court beim Kammergericht eingerichtet, der auf das Bau- und Architektenrecht spezialisiert ist. Beteiligte von Bauvorhaben in ganz Deutschland und im Ausland werden diesen bei Streitigkeiten einschalten und ihren Prozess auf eine einzige Tatsacheninstanz beschränken können. Ergänzend entstehen am Landgericht Berlin II Commercial Chambers, die sich ebenfalls auf das Bau- und Architektenrecht konzentrieren. Hier wird eine Verhandlungsführung in englischer Sprache angeboten; die Commercial Chambers werden schon ab einem Streitwert von über 5.000 Euro zuständig sein.

Auch die Bundesländer Baden-Württemberg (OLG Stuttgart), Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen (OLG Düsseldorf) sind aktuell dabei, Commercial Courts und Commercial Chambers einzurichten.

Stärkung des zivilprozessualen Geheimnisschutz durch § 273a ZPO

Der Gesetzgeber hat außerdem die Gelegenheit genutzt, den Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess erheblich zu verbessern. So hat er einen neuen § 273a in die Zivilprozessordnung eingefügt. Entsprechend können Gerichte (dies betrifft alle Verfahren, nicht nur solche vor den neuen Commercial Courts und Commercial Chambers) auf Antrag einer Partei streitgegenständliche Informationen ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstufen.

Wegen weiterer Einzelheiten verweist die neue Regelung auf die §§ 16 ff. GeschGehG, die bisher nur für Geschäftsgeheimnisstreitsachen galten. Etwaige Geheimhaltungs-Verpflichtungen bestehen auch nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens fort. Bei Zuwiderhandlungen gegen solche Verpflichtungen können empfindliche Ordnungsmittel (Ordnungsgeld bis zu 100.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten) festgesetzt und sofort vollstreckt werden.

Dies bringt insgesamt eine Verbesserung für betroffene Verfahrensparteien. Zwar konnten Gerichte bisher auch anordnen, dass eine Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Ein echter Anspruch der Parteien bestand darauf aber nicht. Die neue Regelung dürfte künftig dazu führen, dass Gerichte in der Regel entsprechende Anordnungen treffen müssen, wenn eine Partei glaubhaft macht, dass Geschäftsgeheimnisse im Sinne des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) vorliegen. Lehnt ein Gericht den Antrag ab, dürfte dem Antragsteller als Rechtsmittel die sofortige Beschwerde zustehen.

Fazit und Ausblick

Die Neuerungen, die das Justizstandort-Stärkungsgesetz bringt, sind sehr zu begrüßen. Die Möglichkeit zur Einrichtung von wirtschaftsrechtlich spezialisierten Commercial Courts und Commercial Chambers hat das Potenzial, den Gerichtsstandort Deutschland deutlich attraktiver zu machen. Gerade die Möglichkeit, Verfahren ganz oder teilweise auf Englisch zu führen, und die Option, auf spezialisierte Gerichte zurückzugreifen, die komplexe Streitigkeiten in nur einer Tatsacheninstanz abhandeln, können echte Alternativen zu Schiedsverfahren darstellen. Wichtig ist, dass die Bundesländer diese Chance erkennen und die Möglichkeiten in der Praxis gewinnbringend umsetzen. Die Initiativen aus Hessen und Berlin machen Hoffnung.

Auch der Schutz von Geheimnissen wird gestärkt. Der zivilprozessuale Schutz von Geschäftsgeheimnissen war (außerhalb von Geschäftsgeheimnissachen) bisher eine Schwachstelle. Diese konnte dazu führen, dass Personen oder Unternehmen auf eine Rechtsverfolgung verzichteten, um sicherzugehen, dass vertrauliche Informationen nicht im Rahmen eines Gerichtsverfahrens offengelegt werden müssen. Die Einführung von § 273a ZPO schließt nunmehr eine relevante Schutzlücke. Der Zivilrechtsweg in Deutschland wird damit insgesamt attraktiver.

Unternehmen, die regelmäßig mit komplexen wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten konfrontiert sind, sollten die neuen Möglichkeiten im Blick behalten – wir beraten Sie gerne zu Chancen, Risiken und strategischer Verfahrensgestaltung.