Mit einem aktuellen Urteil hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass ein Bundesland keine Hebeberechtigung für Gewerbesteuer beanspruchen darf, wenn ein Offshore-Windpark in einem gemeindefreien Gebiet des deutschen Küstenmeers liegt. Damit war – entgegen der bisherigen Praxis des Landes Niedersachsen – nur die Sitzgemeinde berechtigt, Gewerbesteuer zu erheben. Die Entscheidung kann sich auf die Gewerbesteuerbelastung von Offshore-Windparks auswirken und hat daher erhebliche Praxisrelevanz. Wir beleuchten die Einzelheiten.
INHALTE

Hintergrund: Streit um Gewerbesteuer in gemeindefreien Offshore-Gebieten

Die Entscheidung

Mit Urteil vom 3. Dezember 2024 (Aktenzeichen IV R 5/22) hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass ein Bundesland keine Hebeberechtigung für Gewerbesteuer beanspruchen darf, wenn ein Offshore-Windpark in einem gemeindefreien Gebiet des deutschen Küstenmeers liegt. Damit war – entgegen der bisherigen Praxis des Landes Niedersachsen – nur die Sitzgemeinde berechtigt, Gewerbesteuer zu erheben. 

Details zum Sachverhalt: Offshore-Windpark vor der niedersächsischen Küste

Im entschiedenen Fall betrieb eine GmbH & Co. KG einen Offshore-Windpark innerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone vor der niedersächsischen Nordseeküste. Die Gesellschaft hatte ihren Sitz in einer niedersächsischen Gemeinde (der Klägerin) und zahlte im Streitzeitraum keine Arbeitslöhne. Abgesehen von der Windkraftanlage besaß die Gesellschaft auch kein Sachanlagevermögen. 

Für den gemeindefreien Bereich der Zwölf-Seemeilen-Zone hatte das Land Niedersachsen unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) die Hebeberechtigung per Rechtsverordnung (Verordnung über die Erhebung der Gewerbe- und Grundsteuer in gemeindefreien Gebieten, GGrStGfGebV ND) an sich gezogen. 

Das Finanzamt behandelte den Windpark und den Geschäftsleistungssitz jeweils als gewerbesteuerliche Betriebsstätten. In der Folge zerlegte es den Gewerbesteuermessbetrag auf Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 2 GewStG, indem es (i) einen fiktiven Unternehmerlohn der Sitzgemeinde zuordnete und (ii) das gesamte Sachanlagevermögen dem Land Niedersachsen zurechnete. Daraus ergab sich – nach alter Rechtslage – eine Aufteilung von 30 % zugunsten der Sitzgemeinde und 70 % zugunsten des Landes Niedersachsen (Hinweis: seit dem Erhebungszeitraum 2021 gilt ein anderer Zerlegungsmaßstab). 

Die Sitzgemeinde bestritt die Wirksamkeit der Zuordnung der Hebeberechtigung an das Land und begehrte die alleinige Zuweisung der gesamten Gewerbesteuer.

Rechtslage: Wer darf Gewerbesteuer in der Zwölf-Seemeilen-Zone erheben?

Kernaussagen des Urteils

Nach 2 Abs. 1 S. 1 und 3 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer, soweit er im Inland betrieben wird. Das deutsche Küstenmeer zählt zum Inland (§ 2 Abs. 1 GewStG), auch wenn es gemeindefrei ist. Für die Nordsee ist dies die Zwölf-Seemeilen-Zone. 

Der Windpark stellt eine steuerlich relevante Betriebsstätte dar. 

Eine Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags setzt gemäß § 28 Abs. 1 GewStG voraus, dass sich Betriebsstätten in mehreren Gemeinden befinden. 

§ 4 Abs. 2 GewStG erlaubt den Landesregierungen ausschließlich die Übertragung der gewerbesteuerlichen Befugnisse auf Gemeinden, nicht auf das Land selbst. Eine landesrechtliche Verordnung, wie die betreffende Rechtsverordnung des Landes Niedersachsen, die dem Land die Hebeberechtigung für gemeindefreie Gebiete zuspricht, verstößt gegen Bundesrecht (insbesondere Artikel 106 Abs. 6 Grundgesetz). 

Im entschiedenen Fall fehlte es daher an einer wirksamen Zuweisung der Hebeberechtigung für das gemeindefreie Gebiet. In der Folge verblieb die alleinige Hebeberechtigung bei der Sitzgemeinde.

Konsequenzen für Windpark-Betreiber und Steuerbehörden

Auswirkungen und Handlungsempfehlungen

Die BFH-Entscheidung hat erhebliche praktische Auswirkungen: 

Bundesländer (mit Ausnahme der Stadtstaaten) dürfen sich nicht selbst als hebeberechtigte Körperschaften für gemeindefreie Offshore-Gebiete bestimmen. Da die betreffende Rechtsverordnung des Landes Niedersachsen dementsprechend rechtswidrig ist, war das Land Niedersachsen – und ist es auch weiterhin – nicht berechtigt, die auf die Offshore-Windparks an seinem Küstenstreifen entfallende Gewerbesteuer zu erheben. 

Die gesamte Gewerbesteuer für die Offshore-Windparks fällt nur der bzw. den Gemeinde(n) mit Betriebsstätte(n) zu. Dies ist in der Praxis regelmäßig die Sitzgemeinde. Betreiber von Offshore-Windparks können in diesen Gemeinden ggf. von niedrigeren Hebesätzen profitieren und damit ihre Gewerbesteuerbelastung senken. In Abhängigkeit vom Hebesatz der Sitzgemeinde könnte sich im Einzelfall auch eine höhere Gewerbebelastung ergeben. 

Zerlegungsbescheide, die den Gewerbesteueranteil einem Bundesland zuweisen, sind rechtswidrig und können (soweit nach den einschlägigen Normen der Abgabenordnung noch möglich) angefochten werden. 

Betreiber von Offshore-Windparks sollten bestehende Zerlegungsbescheide und Steuerfestsetzungen für offene Jahre überprüfen lassen. Die Entscheidung bietet auch Argumentationshilfe in laufenden Einspruchsverfahren gegen rechtswidrige Zuweisungen an Bundesländer. 

Ausblick: Neue Rechtsverordnungen könnten Gewerbesteuerzerlegung ermöglichen

Inwieweit sich das Urteil auf die Standortwahl der Betreibergesellschaft von Offshore-Windparks und deren künftige gewerbesteuerliche Behandlung auswirkt, bleibt abzuwarten. Denn das Land Niedersachsen hat schließlich die Möglichkeit, mittels einer neuen Rechtsverordnung einer bzw. mehreren (Küsten-)Gemeinde(n) das Gewerbesteueraufkommen für die betreffenden gemeindefreien Gebiete zuzuweisen. In einem solchen Fall würde es dann wieder zu einer Gewerbesteuerzerlegung kommen; die Gewerbesteuerbelastung würde sich dann nach den Hebesätzen der in der neuen Rechtsverordnung bestimmten hebeberechtigten Gemeinde(n) richten. 

Gerne beraten wir Sie hierzu. Sprechen Sie uns an.