Das Bundessozialgericht hat mit seinem sogenannten Herrenberg-Urteil die Sozialversicherungspflicht von Lehrkräften neu bewertet und so für Unsicherheiten hinsichtlich ihres Beschäftigungsstatus gesorgt. Eine neue Übergangsregelung im Sozialgesetzbuch ermöglicht es Lehrkräften und Dozenten nun, ihre Tätigkeit bis Ende 2026 rechtssicher als selbstständige Tätigkeit auszuüben.
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Selbstständigkeit bis 2026 gesichert

Der am 1. März 2025 in Kraft getretene § 127 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) ermöglicht, dass Lehrkräfte ihre Tätigkeit bis zum 31. Dezember 2026 selbstständig ausüben können, auch wenn die Tätigkeit nach den neuen Maßstäben des Bundessozialgerichts tatsächlich als abhängige Beschäftigung eingestuft würde.

Die Ausgangslage: Das sogenannte Herrenberg-Urteil

Hintergrund für diese Übergangsregelung war das sogenannte Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Juni 2022 (Aktenzeichen B 12 R 3/20 R). Hierin erfolgte eine Einstufung der Tätigkeit einer Musikschullehrerin, für viele überraschend, als abhängige Beschäftigung und mithin als sozialversicherungspflichtig. Das Urteil führt seitdem zu Unsicherheiten hinsichtlich des Beschäftigungsstatus von Lehrkräften, Dozenten und anderen Referenten, die oftmals in freier Mitarbeit tätig werden. Denn stellt die Deutsche Rentenversicherung beispielsweise im Rahmen einer Betriebsprüfung fest, dass es sich bei der Lehrtätigkeit tatsächlich nicht, wie angenommen, um eine selbstständige Tätigkeit, sondern eine abhängige Beschäftigung handelt, hat dies zumeist erhebliche finanzielle Folgen für die Bildungseinrichtung oder das Unternehmen, welche die Lehrkraft bzw. den Dozenten oder Referenten beschäftigt. Schließlich muss die Einrichtung bzw. das Unternehmen in einem solchen Fall sämtliche Sozialversicherungsbeiträge, die bisher nicht abgeführt wurden, nachträglich, in der Regel zumindest für die letzten vier Jahre, entrichten. Eine von der eigenen Annahme abweichende Einstufung der Rentenversicherung kann demnach schnell sehr teuer, in Einzelfällen sogar existenzbedrohend werden. Neben diesem finanziellen Faktor können außerdem strafrechtliche Konsequenzen für die Bildungseinrichtungen bzw. Unternehmen als Arbeitgeber drohen. Werden nämlich vorsätzlich Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten, steht eine Strafbarkeit nach § 266a Strafgesetzbuch (StGB) im Raum, welche mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist.

Die zunehmenden Unsicherheiten und der wachsende Handlungsbedarf wurden erkannt, sodass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in der Folge in einen intensiven Fachdialog trat und in bislang drei Fachgesprächen über den Erwerbsstatus von Lehrkräften beraten hat. In den Fachgesprächen wurden unter anderem einzelne Kriterien erörtert, die - unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG - für eine selbstständige unternehmerische Tätigkeit sprechen können und bei deren Vorliegen eine selbstständige Tätigkeit von Lehrkräften und Dozenten möglich sein soll. Außerdem wurden mögliche Organisationsmodelle erstellt, die später als Orientierung für eine selbstständige Ausübung der Lehrtätigkeit dienen sollen. Schließlich wurde die nunmehr beschlossene Übergangsregelung erarbeitet.

Die neue Übergangsregelung: § 127 SGB IV

Der neue § 127 SGB IV gilt seit dem 1. März 2025 und ist bis zum 31. Dezember 2026 befristet. Mit dieser Regelung gilt eine Lehrtätigkeit bis Ende 2026 rechtssicher als selbstständige Tätigkeit, selbst wenn es sich nach den neuen Beurteilungsmaßstäben des BSG tatsächlich um eine abhängige Beschäftigung handelt. Es besteht insofern weder eine Versicherungs- noch eine Beitragspflicht. Damit von einer solchen „fingierten“ selbstständigen Tätigkeit im Rahmen der Übergangsregelung ausgegangen werden kann, müssen allerdings die folgenden Voraussetzungen vorliegen:

  1. die Vertragsparteien müssen bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbstständigen Lehrtätigkeit ausgegangen sein und
  2. die betroffene Lehrkraft muss je nach Fall entweder gegenüber dem Versicherungsträger oder dem Arbeitgeber zustimmen, dass bis zum 31. Dezember 2026 keine Versicherungspflicht aufgrund dieser Beschäftigung vorliegt.

Liegen die Voraussetzungen vor und wird im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV, einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV oder einem Verfahren der Krankenkassen nach § 28h Abs. 2 SGB IV festgestellt, dass tatsächlich eine abhängige Beschäftigung vorliegt, besteht Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund dieser Beschäftigung erst ab dem 1. Januar 2027. Dasselbe gilt auch ohne Durchführung eines der oben genannten Verfahren. Bei Anwendbarkeit der Übergangsregelung kommt es daher weder zu Nachforderungen von Sozialbeiträgen vor dem 1. Januar 2027 noch zu einer Strafbarkeit nach § 266a StGB.

Sollten die Voraussetzungen allerdings nicht vorliegen, fehlt beispielsweise die Zustimmung der Lehrkraft, gelten hingegen uneingeschränkt die Beurteilungsmaßstäbe des BSG. In diesen Fällen besteht demnach weiterhin das Risiko einer Einstufung der Lehrkraft als abhängig beschäftigt - ohne den Rettungsanker der fingierten Selbstständigkeit durch die Übergangsvorschrift, aber dafür mit entsprechenden finanziellen und möglichen rechtlichen Konsequenzen. 

Unter einer Lehrtätigkeit im Sinne der Vorschrift versteht man die Tätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern im Sinne des § 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Sie umfasst die Übermittlung von Wissen und die Unterweisung von praktischen Tätigkeiten. Von der Regelung erfasst werden damit neben den „klassischen“ Lehrkräften einer Bildungseinrichtung zum Beispiel auch Dozenten oder Referenten, die in freier Mitarbeit tätig werden.

Fazit: Rechtssichere Vertragsmodelle erarbeiten und schriftliche Zustimmung der Lehrkräfte einholen

Der neue § 127 SGB IV verschafft den betroffenen Vertragsparteien zwar etwas Zeit, entbindet die Bildungseinrichtungen und Unternehmen einerseits sowie die Lehrkräfte, Dozenten und Referenten andererseits allerdings nicht davon, die jeweiligen Vertrags- und Organisationsmodelle rechtlich zu überprüfen und entsprechend den neuen Beurteilungsmaßstäben anzupassen. Bis zum 31. Dezember 2026 sollten daher klare und rechtssichere Vertragsmodelle für den Einsatz von freien Mitarbeitenden im Bildungssektor erarbeitet werden. Darüber hinaus empfehlen wir in jedem Fall, die entsprechend notwendige schriftliche Zustimmungserklärung der Lehrkräfte einzuholen. Ohne eine solche Zustimmung scheidet die Anwendung der Übergangsvorschrift von vornherein aus.

Sollten Sie als Bildungsträger oder Unternehmen betroffen sein, nehmen Sie frühzeitig Kontakt mit uns auf – wir stehen Ihnen als erfahrene Ansprechpartner im Sozialversicherungsrecht gerne zur Seite.